BGH-Urteil | 2021: Patientenverfügung kann Zwangsbehandlung in Psychiatrie verbieten

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Mehr Rechte für Patienten in psychiatrischer Behandlung

Ein aktueller Beschluss des Bundesverfassungsgerichts1 stärkt die Rechte von Patienten in psychiatrischer Behandlung. Die Richter des zweiten Senats betonen darin, dass eine medikamentöse Zwangsbehandlung dann Grenzen hat, wenn der Patient sie vorher unmissverständlich abgelehnt hat – wie in einer Patientenverfügung. Außerdem darf er in unbehandeltem Zustand keine anderen Menschen gefährden, zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Patientenverfügung sei aber, dass sie selbstbestimmt und mit freiem Willen verfasst wurde.

Im konkreten Fall gab das Gericht damit einem Mann weitgehend recht, dem gegen seinen schriftlich niedergelegten Willen Neuroleptika verabreicht wurden. Das sind Medikamente, die vor allem zur Behandlung von Psychosen mit Wahn und Halluzinationen sowie bei schweren Störungen des Denkens eingesetzt werden.

Verfassungsrichter: Psychopharmaka greifen auch in Selbstbestimmungsrecht ein

Das Verfassungsgericht stellte in seinem Beschluss klar, dass alle medizinischen Behandlungen gegen den Willen eines Menschen in sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreifen. Und dass dieses Recht nicht nur den Körper vor Eingriffen schütze, sondern auch das Recht auf Selbstbestimmung und damit die Persönlichkeit. Da eine Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka gleich beide Rechte berührt, sei sie doppelt bedeutsam. Wörtlich heißt es im BGH-Beschluss: „Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffen berührt daher, auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlichkeit.“

Patientenschutz: Es gibt ein „Recht auf Unvernunft“

Wenn ein Mensch solch eine Behandlung abgelehnt habe und sich dabei über die Folgen klar gewesen sei, gelte diese Entscheidung demnach als Handlungsanweisung für die Behandler, so die Richter. Werden dem Patienten Gaben von Psychopharmaka nur deshalb verabreicht, um ihn vor den Folgen einer Erkrankung zu schützen, kann das also unzulässig sein. Patientenschützer sprechen in Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen vom sogenannten Recht auf Unvernunft. Demnach kann ein Patient auch dann Behandlungen ablehnen, „wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen kann“, so die Verfassungsrichter in ihrem Beschluss. Dennoch gebe es aber bestimmte Umstände, in denen eine psychiatrische Behandlung auch mit Zwang ausgeführt werden muss: beispielsweise dann, wenn es um den Schutz Dritter gehe oder Gefahr im Verzug sei.

Zwangsbehandlung Psychiatrie: Landgericht entschied gegen Patientenwillen

In dem konkreten Fall handelte es sich um einen Mann, der nach einer Straftat dauerhaft im Maßregelvollzug eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht war. In einem ergänzenden Schriftstück zu seiner Patientenverfügung hatte er zuvor niedergelegt, dass er Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegepersonen verbiete, ihm gegen seinen Willen Psychopharmaka zu geben. Dennoch hatte das Krankenhaus im Jahr 2016 eine Zwangsbehandlung bei Gericht beantragt, weil der Mann an Schizophrenie leide. Begründung: ohne Behandlung wären unumkehrbare Schäden des Gehirns zu erwarten. Das zuständige Landgericht stimmte der Behandlung zu, das Oberlandesgericht wies die darauffolgende Beschwerde des Patienten zurück. Auch nach einer erneuten Verlängerung der Behandlung entschieden die Richter am Landgericht, dass die Erklärung in der Patientenverfügung einen Abbruch der Zwangsbehandlung nicht rechtfertigt. Erst als der Patient Verfassungsbeschwerde einlegte, entschieden die Richter am Bundesverfassungsgericht im Sinn der Patientenautonomie.

Die Verfassungshüter hoben die bisherigen Gerichtsbeschlüsse auf. Die Fachgerichte müssen im Falle des Mannes nun noch einmal prüfen und entscheiden, ob die Patientenverfügung wirksam von ihm verfasst wurde und ob die Zwangsbehandlung tatsächlich auch dem Schutz anderer Menschen dient.

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Letztlich setzte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss nicht nur der Zwangsbehandlung von Patienten in der Psychiatrie klare Grenzen, sondern stärkte auch die Bedeutung wirksamer Patientenverfügungen – die in jedem Falle bindend seien. Eine bloße „Beachtung“ durch die behandelnden Personen reiche dabei nicht aus, so die Richter.

Grundsätzlich gilt für Patientenverfügungen: Um medizinisch wirksam zu sein und im Notfall Ihre konkreten Behandlungswünsche für bestimmte Situationen festzulegen, brauchen Sie keine juristischen oder medizinischen Kenntnisse. Es ist jedoch sinnvoll, beim Erstellen ihrer Patientenverfügung die Hilfe und Beratung von Hausärzten oder Notfall-/Intensivmedizinerinnen in Anspruch zu nehmen. Wir von DIPAT bieten Ihnen diese fachliche Beratung in Form eines umfassenden und intelligenten Online-Interviews. So können Sie eine präzise, medizinisch wirksame Patientenverfügung digital erstellen, die durch einen Abrufcode im Notfall für Angehörige und medizinisches Personal jederzeit verfügbar ist.

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Heike Byn bei DIPAT Die Patientenverfügung

Ein Beitrag von

Heike Byn

Freie Autorin & Journalistin

Verfasst medizinisch fundierte Fachartikel mit Expertise vor allem in Gesundheits-, Familien- und Gesellschaftsthemen.