Letzter-Wille-Pille: Wie weit darf Selbstbestimmung gehen?
Spätestens seit sie im Jahr 2002 als erstes Land der Welt die Sterbehilfe rechtlich für zulässig erklärt haben, gelten die Niederlande als Vorreiter auf diesem Gebiet. Nun diskutiert das Land über die Legalisierung einer legalen „Todespille“. Solch todbringende Pillen können bisher nur illegal aus dem Ausland bezogen oder von einem Arzt verschrieben werden.
Laut ihrer Befürworter wäre die Legalisierung der sogenannten „Letzte-Wille-Pille“ eine win-win-Lösung für Patienten und Ärzte: Auf der einen Seite würde das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, die mit ihrer Lebensqualität hadern und ihr Leben eigenständig beenden wollen, erheblich gestärkt. Auf der anderen Seite fiele für Ärzte das moralische Dilemma weg, welches der Todeswunsch eines Patienten zur Folge haben kann. Robert Schruink, Direktor der Niederländischen Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE), erklärt: „Ärzte haben im heutigen System bei Euthanasie-Fragen die Rolle von Richtern bekommen (…) Manche Patienten würden gerne ihr Leben beenden, haben aber einen Hausarzt, der ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen kann oder will.“¹.
Kritiker hingegen sehen in der Zulassung der „Letzte-Wille-Pille“ die Gefahr eines Dammbruchs. Der niederländische Medizinethiker Theo Boer von der Universität in Groningen berichtet: „Die aktive Sterbehilfe ist nicht länger eine Ausnahme; sie hat sich zu einer normalen Sterbensweise entwickelt“². So seien die Fälle von aktiver Sterbehilfe von 1.800 im Jahre 2005 auf 5.300 im Jahr 2014 angestiegen.
Ob und wann das Medikament in den Niederlanden tatsächlich legalisiert wird, soll in den kommenden Monaten geklärt werden. Politiker, Mediziner, Ethiker und Mitglieder des NVVE befinden sich bereits im Gespräch.

Ein Beitrag von
Paul Brandenburg
Gründer und Geschäftsführer
Medizinstudium in Berlin und Japan. Forschung und Veröffentlichungen mit mehreren Preisen. Promotion an der Charité mit Auszeichnung durch die wissenschaftliche Fachgesellschaft. Ärztliche Ausbildung an Universitätskliniken in Deutschland und der Schweiz.
Als Facharzt seit 2011 deutschlandweit und international in der Notfall- und Intensivmedizin tätig. KulturSPIEGEL-Bestsellerautor und Publizist zum Gesundheitssystem. Regelmäßiger Gesprächspartner von Medien und Politik.
Zitate und Quellen
¹ Dürr, B.: Sterbehilfe: Niederländer erwägen Legalisierung von Todespille. 07.01.2016, http://www.spiegel.de
² Stöhr, M.: Streitgespräch: Die Todespille nach Beratung. 2009, http://www.aerzteblatt.de