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Fehler in der ambulanten Pflege: Wie kann man Patienten schützen?

Menschen, die zuhause gepflegt werden, sind zahlreichen Risiken ausgesetzt. Einerseits sprechen sich die vielen an der Pflege beteiligten Personen oftmals zu wenig ab. Andererseits sind die Verantwortungsbereiche oft nicht klar abgegrenzt. Die gemeinnützige Stiftung „Zentrum für Qualität in der Pflege“ hat nun sieben Handlungsfelder erarbeitet, die zeigen, welche Probleme es aktuell in der ambulanten Pflege gibt und was man tun kann, um diese Probleme zu lösen.

Fehler in der Behandlung von Patienten waren jahrzehntelang ein Tabuthema. Seit der Jahrtausendwende hat Patientensicherheit jedoch auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewonnen. So hat sich 2005 das Aktionsbündnis Patientensicherheit gegründet und die Initiative gesundheitsziele.de hat Patientensicherheit 2013 zu einem wichtigen Ziel in der Gesundheitspolitik und für die Gestaltung des Gesundheitssystems erhoben.

Was bedeutet Patientensicherheit?

Pflegebedürftige Menschen sollen mit Würde und Respekt behandelt werden. Dazu gehört selbstverständlich, ihre Gesundheit und Selbstständigkeit auch in der Pflegesituation so weit wie möglich zu erhalten. Vor diesem Hintergrund bedeutet das Gesundheitsziel Patientensicherheit, „Patienten bzw. pflegebedürftige Menschen vor unerwünschten Ereignissen, vermeidbaren gesundheitlichen Schäden sowie Fehlern zu schützen“1. Es geht also darum, gesundheitliche Schäden wie Stürze, Infektionen und Wundgeschwüre, die nicht direkt auf die eigentliche Erkrankung des pflegebedürftigen Patienten zurückzuführen sind, zu vermeiden. Dafür ist es wichtig, sowohl Behandlungsfehler als auch Probleme im Zusammenspiel von verschiedenen Beteiligten wie Angehörigen, Ärzten und Pflegekräften zu erkennen und zu beheben.

Worin besteht das Risiko in der ambulanten Pflege?

In Deutschland leben aktuell 3,5 Millionen Menschen, die pflegebedürftig sind. Die überwiegende Mehrheit von 2,65 Millionen Personen bleibt auch während der Pflege in ihrem vertrauten Umfeld und wird daheim von Angehörigen unterstützt. In knapp 700.000 Fällen sind auch Pflegedienste in die häusliche Versorgung der Patienten mit eingebunden2. An der ambulanten Pflege sind viele verschiedene Akteure beteiligt: Neben Angehörigen und professionellen Pflegern zum Beispiel auch Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten, Logopäden und Besuchsdienste.

Problematisch ist, dass die Beteiligten oftmals unter hohem Zeitdruck stehen und sich untereinander zu wenig oder gar nicht über die Behandlung der Patienten absprechen. So können die verschiedenen Arten von Expertenwissen nicht richtig genutzt werden und es ist oft unklar, wer genau für was verantwortlich ist. Das kann sich beispielsweise in einer falschen Gabe von Medikamenten (wie einer doppelten oder vollständig fehlenden Gabe), aber auch in Mangelernährung der Pflegebedürftigen zeigen. Die weitere Verschlechterung der ohnehin schon angeschlagenen Gesundheit der Pflegepatienten führt dann dazu, dass sie noch mehr Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch nehmen müssen3 und dass ihre Lebensqualität noch weiter eingeschränkt wird.

Was kann man gegen Risiken in der ambulanten Pflege tun?

Um Patienten in der häuslichen Pflege zukünftig besser zu schützen, hat das Zentrum für Qualität in der Pflege 2016 die Perspektivenwerkstatt „Patientensicherheit in der ambulanten Pflege“ ins Leben gerufen. Knapp zwei Jahre lang wurde Forschungsliteratur zum Thema zusammengetragen und der Austausch mit Fachleuten aus Praxis, Politik und Forschung in Fachkonferenzen organisiert. Wissenschaftlich aufbereitet wurden die Ergebnisse von der Uni Bremen Campus GmbH in Zusammenarbeit mit dem Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen4.

Durch das Forschungsprojekt wurden sieben Handlungsfelder erarbeitet, in denen Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit getroffen werden sollten. Dabei sind die folgenden Lösungsansätze für den Schutz von Patienten in der häuslichen Pflege besonders wichtig:

  • Beruflich Pflegende besser in Patientensicherheit ausbilden
  • Bessere Personalsituation in der Pflege schaffen
  • Verantwortungen im Zusammenspiel der Pflegenden festlegen
  • Informationsaustausch zwischen den Beteiligten sichern
  • Angehörige fachlich schulen
  • Fehler offen ansprechen
  • Hauptfehlerquellen Medikation, Hygiene und außerklinische Beatmung besonders beachten

Insgesamt hat sich herausgestellt, dass die Patientensicherheit im Bereich der häuslichen Pflege kaum erforscht ist und im Gesundheitssystem noch zu wenig Beachtung findet. Um grundlegende Probleme, wie etwa das Verschweigen von Behandlungsfehlern dauerhaft zu lösen, ist ein Kulturwandel im Gesundheitswesen erforderlich. Dieser wird sich aber vermutlich erst mit einem Generationenwechsel an der Spitze der entsprechenden Berufsvertretungen nachhaltig vollziehen.

Im Folgenden werden noch weitere Hintergrundinformationen zu den wichtigsten Lösungsansätzen ausgeführt:

Beruflich Pflegende besser in Patientensicherheit ausbilden

Das Fachwissen von beruflich Pflegenden ist die Basis, um Sicherheitsrisiken zu erkennen, mit Fehlern richtig umzugehen und so riskante Situationen zu vermeiden. Dazu muss das Thema Patientensicherheit in der ambulanten Pflege eine größere Rolle in der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften spielen. Besonders empfehlenswert ist dabei der Austausch mit anderen Berufsgruppen.

Bessere Personalsituation in der Pflege schaffen

Immer mehr Menschen sind auf pflegerische Unterstützung angewiesen, während es gleichzeitig immer weniger Fachkräfte gibt. Die Folgen dieses Wandels sind etwa weniger Zeit eines Pflegenden für die Versorgung des einzelnen Patienten und zunehmende organisatorische Probleme bei der Koordination der Leistungen.

Die Politik hat dieses Problem erkannt und arbeitet daran, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Aktuell gibt es jedoch immer noch zu wenig Personal in der Pflege. Daher empfiehlt es sich auch, Pflegedienstleitungen im Personalmanagement zu schulen, um das wenige vorhandene Personal besser einzusetzen. Damit langfristig genügend professionelle Pfleger ausgebildet werden, muss man außerdem wissen, wie viele Pfleger in Zukunft benötigt werden. Dazu sollte ein konkretes Verfahren zur Personalbedarfsmessung5 entwickelt werden.

Verantwortungen im Zusammenspiel der Pflegenden festlegen

Ambulante Pflege ist eine vielschichtige Aufgabe, an der viele Akteure wie Angehörige, Pflegedienste und verschiedene Ärzte beteiligt sind. Zu oft ist nicht geklärt, wer genau für was verantwortlich ist und dementsprechend handeln muss. Es besteht die Gefahr, dass der eine denkt, der andere würde sich kümmern, und umgekehrt – und so kann es passieren, dass auf Probleme nicht schnell genug reagiert wird.

Hier ist es entscheidend, die Sicherheit von pflegebedürftigen Menschen „als Querschnittsaufgabe aller […] Akteure zu verstehen“6. Dafür sollten alle Beteiligten – inklusive der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen – wissen, wer genau wann welche Aufgabe in der Pflege erfüllt7. So können Verantwortungsbereiche besser wahrgenommen, aber auch eingegrenzt werden.

Informationsaustausch zwischen den Beteiligten sichern

Allen am Pflegeprozess beteiligten Personen müssen die Informationen vorliegen, die für die Behandlung relevant sind. Besonders wichtig ist das, wenn sich nach einem Krankenhausaufenthalt die Pflegeanforderungen verändert haben, beispielsweise die Dosierung von Medikamenten. Informationen müssen zwischen den Beteiligten – wie dem Krankenhauspersonal und dem ambulanten Pflegedienst – klar verständlich ausgetauscht werden.

In der Praxis gibt es allerdings keine Informationsbögen, die verschiedene Berufsgruppen gemeinsam nutzen. Vielmehr legen alle getrennte Aufzeichnungen und Übergabedokumente an, die jeweils nur wiederum von einem kleinen Teil der „anderen Seite” gelesen werden. So erfährt der Arzt beispielsweise oftmals nicht, welche weiteren Maßnahmen in der Physiotherapie notwendig sind, oder der Physiotherapeut nicht, ob eventuell ein neues Medikament die Bewegungsfähigkeit des Patienten betreffen könnte.

Damit der Informationsaustausch in Zukunft besser funktioniert, müssen standardisierte Informationswege für alle relevanten Berufsgruppen entwickelt werden. Der beste Ansatz hierfür sind digitale Systeme, auf die die an der Pflege Beteiligten gemeinsam zugreifen können. Leider ist Deutschland aber international auf einem der letzten Plätze bei der Digitalisierung der Medizin. Der Handlungsbedarf seitens der Politik ist riesig.

Angehörige fachlich schulen

Die meisten Angehörigen sind keine professionellen Pfleger. Daher fehlt ihnen Fachwissen, wie etwa zur „Einhaltung von Hygieneregeln, […] [zum] richtige[n] Umgang mit Medikamenten, [zur] Sturzprophylaxe oder [zur] […] gesundheitsfördernde[n] Ernährung”8. Bisher fehlt hier ein umfassendes Programm zur Wissensvermittlung.

Solches Fachwissen sollte den Angehörigen von Pflegebedürftigen künftig im Rahmen von professionellen Beratungen, Schulungen und praktischen Anleitungen vermittelt werden. Zudem ist es wichtig, dass auch die pflegerischen Laien einen Überblick über alle Maßnahmen zur Patientensicherheit haben, die bei der Versorgung des Pflegebedürftigen eingesetzt werden.

Fehler offen ansprechen

Obwohl Patientensicherheit schon seit über zehn Jahren ein Thema ist, ist es nach wie vor im Gesundheitssystem nicht üblich, offen über Fehler zu sprechen. Unerwünschte Ereignisse wie Stürze oder Infektionen werden „[a]us Angst vor Konsequenzen und Schuldzuweisungen”9 von Seiten der Mitarbeiter des Pflegedienstes oft verschwiegen oder vertuscht. Für Ärzte und andere Berufsgruppen gilt dies leider ganz genauso.

Praktische erste Schritte bei der Lösung dieses Problems können vor allem die Leiter der Pflegedienste leisten: Durch den Aufbau einer Sicherheitskultur in ihrem Unternehmen. Das bedeutet, offen und konstruktiv mit Problemen und Fehlern umzugehen. Entscheidend darf nicht sein, WER etwas getan oder unterlassen hat, sondern WIE es zu dem Fehler kam und wie er künftig vermieden werden kann. Schuldzuweisungen sollten grundsätzlich unterlassen werden um die Menschen zu ermutigen, eigene Fehler einzugestehen.

Ereignis- und Fehlermeldesysteme wie ein Critical Incident Reporting System (CIRS)10 können Mitarbeitern helfen, angstfrei Probleme und Fehler anzusprechen und daraus zu lernen. Wenn ein Behandlungsfehler auftritt, können Nutzer eines CIRS anonym ein digitales Formular ausfüllen. „Die abgefragten Inhalte können dabei von der Beschreibung des Ereignisses über Verbesserungsvorschläge und bereits getroffene Maßnahmen bis zu möglichen Ursachen wie persönlichen Faktoren, System- oder Teamfaktoren reichen. ”11 Diese Informationen können anschließend mit anderen Nutzern des CIRS geteilt werden, so dass die Möglichkeit besteht, voneinander zu lernen. „Denn”, so der Vorstandsvorsitzende des Zentrums für Qualität in der Pflege Dr. Ralf Suhr, „Fehler gehören leider zur Arbeit – deren Fortführung aber nicht”12.

Hauptfehlerquellen Medikation, Hygiene und außerklinische Beatmung besonders beachten

Die Bereiche Medikation, Hygiene und außerklinische Beatmungspflege wurden in der Perspektivenwerkstatt „Patientensicherheit in der ambulanten Pflege” als besonders anfällig für Fehler und Probleme herausgestellt. Ihnen gilt es, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das Beispiel Hygiene macht das deutlich:

Bestehende Hygienerichtlinien wurden fast ausschließlich für die stationäre Pflege im Krankenhaus entwickelt. Die ambulante Pflege findet jedoch nicht in dieser sehr besonderen Hygieneumgebung statt, sondern bei den Patienten zuhause. Dort gibt es zum Beispiel Textilien und Haustiere, die in den Vorgaben für das Krankenhaus nicht berücksichtigt werden. Auch das private Hygieneverhalten der Pflegepatienten und ihrer Angehörigen beeinflusst die Pflegesituation stark.

Aktuell gibt es trotz dieser wesentlichen Unterschiede keine belastbares Wissen über die besonderen Risiken bei der Hygiene in der Ambulanten Pflege. Daher gilt es hier, zunächst eine „datenbasierte Wissensgrundlage”13 zu schaffen, auf der Hygienevorgaben für die häusliche Pflege erarbeitet werden können.

Janine Kaczmarzik bei DIPAT Die Patientenverfügung

Ein Beitrag von

Janine Kaczmarzik

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

M.A. Germanistik / Schwerpunkt Sprachwissenschaft. Expertin für Leichte Sprache.

Informiert unsere Kunden und die Öffentlichkeit über wichtige Fragen der Gesundheitsvorsorge und Patientenautonomie.

Zitate und Quellen

Zitate:

  1. Stiftung ZQP 2018: 3
  2. Stiftung ZQP 2018: 4
  3. Canadian Patient Safety Institute 2013, zitiert nach Görres/ Warfelmann/ Meinecke/ Riemann 2018: 8
  4. Stiftung ZQP 2018: 4
  5. Stiftung ZQP 2018: 9
  6. vgl. ebd.
  7. Stiftung ZQP 2018: 10
  8. Stiftung ZQP 2018: 12
  9. Görres/ Warfelmann/ Meinecke/ Riemann 2018: 43
  10. Stiftung ZQP 2018: 13
  11. Inworks 2016
  12. Stiftung ZQP 2019
  13. ZQP 18:16

 

Quellen: