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Palliativmedizin allein ist keine Lösung

Etliche Gegner der Legalisierung aktiver Sterbehilfe berufen sich in der Diskussion gerne auf die Palliativmedizin.

So prophezeit Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe: „in Anbetracht der Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung ist die Stärkung der Palliativmedizin unabdingbar. Denn der Ruf nach Sterbehilfe wird bei einer flächendeckenden palliativmedizinischen Versorgung selten sein.“¹

Und auch Wolfgang Huber, Theologe und ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, sieht in einem rechtzeitigen Übergang von der kurativen zur palliativmedizinischen  Therapie sowie der Verfügbarkeit einer guten palliativen Sterbebegleitung „die wichtigsten Antworten auf die gegenwärtige Suiziddebatte."²

Was aber kann die Palliativmedizin tatsächlich leisten?

Die Mittel der Palliativmedizin

Palliativmedizin kann Symptome wie Übelkeit, Atemnot, Müdigkeit oder Appetitlosigkeit behandeln und Schmerzen lindern. Oft kann hierdurch die Lebensqualität des Patienten erheblich verbessert werden. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass Medikamente und Therapien nicht bei allen Patienten gleichermaßen gut anschlagen und auch nicht sämtliche Leiden tatsächlich behandelt werden können. Auch Ängste können den Patienten durch psychologische bzw. seelsorgerische Begleitung genommen werden.

Was Palliativmedizin nicht leisten kann

Doch es gibt auch Situationen, in denen die Palliativmedizin gar nicht greifen kann, da sich der Patient noch nicht am Lebensende befindet sondern schlichtweg lebensmüde ist. Beispielsweise ein zeitlebens sportlich sehr aktiver Mensch, der durch einen Unfall schwere Schäden davonträgt: unfähig sich halsabwärts zu bewegen und durch Verlust der Sprachfähigkeit wird er plötzlich zum stillen Beobachter, immer angewiesen auf die Pflege anderer. Solcherlei Zustände können ebenfalls zu dem Wunsch nach einem assistierten Suizid führen.

Dass Palliativmedizin auch in anwendungsrelevanten Fällen nicht immer ausreichend ist, wissen vor allem Fachleute, die in der Sterbebegleitung tätig sind. „Die Vorstellung vom ‚schönen Sterben’ im Hospiz unter Obhut der Palliativmedizin ist eine Illusion“, weiß eine langjährige Mitarbeiterin eines kirchlichen Hospizes, „Auch bei uns sterben Menschen unter größten Qualen, auch bei uns schreien Patienten stundenlang aus Panik und Angst vor dem Tod, bis am Ende ein Arzt kommt und ihnen so starke Medikamente gibt, dass sie kurz danach sterben.“³ Auch Peter Cramer, Vorsitzender des Hospizvereins Leverkusen, berichtet: „Es gibt Patienten, bei denen wir angesichts ihrer Schmerzen darum beten, dass sie bald von ihren Leiden erlöst werden. Die rigoristische Position zum assistierten Suizid, wie sie teils auch von den Kirchen vertreten wird, ist unhaltbar.“³ Cramer, selbst engagierter Katholik, sieht im assistierten Suizid auch ein ‚Werk der Barmherzigkeit’.

Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung ist keine Alleinlösung

Schlussendlich bleibt das Problem, dass es in Deutschland noch enorme Versorgungslücken im Bereich der palliativmedizinischen Versorgung gibt. An vielerlei Orten gibt es schlichtweg keine entsprechenden Einrichtung, geschweige denn ambulante Hospizdienste. Oder aber, sie sind aufgrund ihrer religiösen Ausrichtungen nur einem Teil der potentiellen Patienten vorbehalten. Doch auch wenn ein umfassender Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland die Situation todkranker Patienten deutlich verbessern würde, so Cramer, „die Palliativmedizin kann nicht der Joker für alles sein.“³

Paul Brandenburg bei DIPAT Die Patientenverfügung

Ein Beitrag von

Paul Brandenburg

Gründer und Geschäftsführer

Medizinstudium in Berlin und Japan. Forschung und Veröffentlichungen mit mehreren Preisen. Promotion an der Charité mit Auszeichnung durch die wissenschaftliche Fachgesellschaft. Ärztliche Ausbildung an Universitätskliniken in Deutschland und der Schweiz.

Als Facharzt seit 2011 deutschlandweit und international in der Notfall- und Intensivmedizin tätig. KulturSPIEGEL-Bestsellerautor und Publizist zum Gesundheitssystem. Regelmäßiger Gesprächspartner von Medien und Politik.

Zitate und Quellen

¹ Deutsche Krebshilfe: Palliativmedizin statt Sterbehilfe. 06.07.2015, www.krebshilfe.de
² Huber, W.: Der Suizid bei schwerer Krankheit darf nicht normal werden. 23.10.2015, www.tagesspiegel.de
³ Frank, J.: Das „schöne Sterben“ ist eine Illusion. 05.11.2015, www.fr-online.de (Link leider nicht mehr verfügbar)